Warburg (red). Am Dienstag, 9. Oktober, gastiert das EURO-STUDIO Landgraf um 20.00 Uhr mit der Tragikomödie „Vater“ im Warburger PZ mit einer preisgekrönten Inszenierung von Rüdiger Hentzschel (2. INTHEGA-Preis 2017) mit Ernst Wilhelm Lenik in der Haupt- und Titelrolle. Das von Florian Zeller im Jahr 2012 uraufgeführte Erfolgsstück über einen alten, an Alzheimer erkrankten Mann, der sich zunehmend nicht mehr in der Realität zurechtfindet, ist ein Theaterabend, der gegenwärtige Ängste anspricht. Gleichzeitig ist es erstaunlich, wie der mittlerweile auch international hoch gehandelte Shooting-Star Zeller mit diesem brisanten Thema umgeht: Trotz verstörender Präzision und gedanklicher Schärfe kann er den dargestellten Situationen auch immer wieder ein befreiendes Lachen abzugewinnen. Statt bleiernem Problemstück präsentiert er „Vater“ also unterhaltsam und gleichzeitig berührend.
Darum geht es: Der 80-jährige André merkt, dass sich etwas verändert. Noch lebt er allein in seiner Pariser Wohnung und versucht, vor Anne, seiner älteren Tochter, den Eindruck aufrecht zu erhalten, alles sei in Ordnung. Dabei ist ganz offensichtlich, dass er allein nicht mehr zurechtkommen kann. Also organisiert sie für ihn Pflegehilfen, mit denen er sich aber ständig zerstreitet. Ein alter Mann, für den sich der Alltag mehr und mehr in ein verwirrendes Labyrinth verwandelt, auf der Spurensuche nach sich selbst. Weil seine Wahrnehmung sich immer mehr verschiebt, gerät er in eine Welt, in der seine Biografie nicht mehr gilt, weil die Welt, in der sie entstanden ist, am Verlöschen ist…
Das Besondere an „Vater“ ist die ungewöhnliche Erzählstruktur. Erlebt wird die Handlung nämlich nicht chronologisch, sondern aus der Erlebniswelt des 80-Jährigen. Durch diesen hinterhältigen Trick des französischen Erfolgsautors wird der Zuschauer emotional an die Hauptperson gebunden, erlebt mit ihr dieselben Momente des Glücks, teilt mit ihr die Momente des Ausgeliefertseins, erfährt mit ihr die unbegreifbare Veränderung von Personen und Dingen und kann wie sie immer weniger unterscheiden: Was ist Realität, was Wahn oder Wunschvorstellung, was Halluzination oder fixe Idee. Das klingt nach einem traurigen Theater-abend? Das Gegenteil ist der Fall. Zellers Text provoziert das Lachen. Die komödiantische Dynamik ergibt sich aus den abrupten Stimmungs-schwankungen der Hauptperson. Da Autor Zeller nicht die Krankheit in den Mittelpunkt stellt, sondern Andrés Versuch, dem ihn beunruhigenden Prozess der Verwirrung zu entkommen, verstummt das Gelächter über Andrés Eigensinn und Wutausbrüche sofort, wenn man begreift: dieser Mensch kämpft um seine Selbstachtung. Er ist nur deshalb diese unberechenbare, aggressive Nervensäge, weil er versucht, seine Angst vor der fortschreitenden Hilflosigkeit zu verbergen. Die tragikomische Gratwanderung endet erst mit dem Schlussbild, dessen nachhaltig beklemmender Wirkung man sich nicht entziehen kann.
Karten sind ab sofort im Informations- und Servicepavillon der Hansestadt Warburg auf dem Neustädter Marktplatz erhältlich.