OWL (red). Sowohl die Industrie- und Handelskammer (IHK) Ostwestfalen zu Bielefeld als auch die IHK Lippe zu Detmold lehnen nach Bewertung der wirtschaftlichen Auswirkungen einen möglichen Nationalpark in der Egge ab. Am heutigen Dienstag (19. Dezember) erläuterten Spitzenvertreter beider IHKs in einer gemeinsamen Pressekonferenz in Bielefeld die zuvor von ihren jeweiligen Vollversammlungen, den Parlamenten der Wirtschaft, beschlossenen Positionspapiere. Dabei schilderten sie die in den vergangenen Monaten durchgeführten umfangreichen Abwägungsprozesse verschiedener wirtschaftlicher Aspekte. Unter anderem sind eine Umfrage unter rund 9.000 Unternehmen in Ostwestfalen-Lippe und Gutachten zu Auswirkungen eines Nationalparks auf die Tourismusbranche sowie die Forst- und Holzwirtschaft in die Entscheidungsfindung eingeflossen. „Der Tourismus in Ostwestfalen-Lippe könnte zwar von den positiven Effekten eines Nationalparks profitieren, insbesondere vom Marketing-Effekt einer Nationalparkregion. Die Forst- und Holzwirtschaft sowie die Windenergiebranche hingegen befürchten negative Auswirkungen auf ihre jeweiligen Sektoren durch einen möglichen Nationalpark in der Egge, aber auch im Teutoburger Wald“, erläutert der Präsident der IHK Ostwestfalen, Jörn Wahl-Schwentker. Zusätzlich betrachtete Aspekte waren die Auswirkungen auf weitere Unternehmen sowie die infrastrukturellen Folgen. Die IHK Ostwestfalen zieht deshalb folgendes Fazit: „Nach Abwägen der wirtschaftlichen Vor- und Nachteile ist die Gebietskulisse Egge aus Sicht der ost-westfälischen Wirtschaft für eine Nationalparkentwicklung ungeeignet.“ Die Kammer befürwortet aber generell einen Nationalpark in der Region und sieht dafür mögliche alternative Gebiete, die auf naturschutzfachliche und wirtschaftliche Machbarkeit hin untersucht werden sollten. Dies gilt insbesondere für das aktuelle Naturschutzgebiet Großes Torfmoor samt des EU-Vogelschutzgebietes Bastauniederung im Kreis Minden-Lübbecke. Der ebenfalls betrachtete Teutoburger Wald wird aus wirtschaftlicher Sicht als ungeeignet eingestuft, die Senne dagegen generell als geeignet, wegen ihrer militärischen Nutzung erscheint eine zeitnahe Realisierung dort aber als unwahrscheinlich

Die IHK Lippe hat sich auf einen möglichen Nationalpark in der Egge fokussiert. „Nach Abwägung aller Vor- und Nachteile stehen wir einer Nationalpark-Kulisse im Eggegebirge sehr skeptisch gegenüber“, erklärt IHK-Vizepräsident Stephan Westerdick. Die Position basiere auf der umfangreichen Bewertung der wirtschaftlichen Auswirkungen.

Aus einem gemeinsam von beiden IHKs in Auftrag gegebenen Tourismusgutachten könnte sich ein zusätzliches Umsatzpotenzial in Folge einer Nationalparkausweisung in der Egge von rund 288 Millionen Euro bei einer Ausgangsbasis von knapp zwei Milliarden Euro im Vor-Corona-Jahr 2019 ergeben. Die Gutachter gehen dabei davon aus, dass rund 45 Prozent der Mehrerlöse auf das Gastgewerbe, knapp ein Drittel auf den Einzelhandel und rund 22 Prozent auf den Dienstleistungsbereich entfallen. „Die befragten Unternehmen erwarten einen Anstieg der Übernachtungszahlen um 19 Prozent und 16 Prozent mehr Tagesgäste“, sagt Petra Pigerl-Radtke, Hauptgeschäftsführerin der IHK Ostwestfalen. „Auf Basis der Umfrage und des Gutachtens können wir davon ausgehen, dass die Marke ‚Nationalparkregion‘ für positive Effekte auf den Tourismus in der Region entscheidend ist – und weniger, wo der Nationalpark genau liegt“, ergänzt sie.

Für die Forst- und Holzwirtschaft weist derweil ein Gutachten für den direkten Bereich eines möglichen Nationalparks Egge aktuell einen Umsatz von rund zwei Milliarden Euro, eine Wertschöpfung von circa 600 Millionen Euro und 3/4 etwa 10.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte aus. Die debattierte Flächenkulisse werde aktuell zu mehr als 90 Prozent dauerhaft zur Holzerzeugung genutzt. Kurzfristig kalkulieren die Gutachter für den Fall einer Nationalparkausweisung in der Egge mit einem direkten jährlichen Umsatzverlust in OWL von 41 Millionen Euro und dem Wegfall von 277 Arbeitsplätzen, ab 2050 – nach der Überwindung von Kalamitätsschäden – mit Umsatzeinbußen von 100 Millionen Euro pro Jahr und 700 Arbeitsplätzen. Zu beachten seien zudem auch Folgen in OWL für die Möbelindustrie, Zulieferer sowie im Anlagen- und Maschinenbau. „Im Gutachten wird festgestellt, dass die Errichtung eines Nationalparks im Eggegebirge für die Forst- und Holzwirtschaft ausschließlich mit negativen Effekten verbunden ist. Mit einem Minus ist dabei sowohl bei der Wertschöpfung, als auch bei Umsatz und Arbeitskräften zu rechnen. Es muss befürchtet werden, dass ein sonst funktionierendes Cluster Forst und Holz in Ostwestfalen-Lippe dadurch deutlich geschwächt wird“, konstatiert Svenja Jochens, Hauptgeschäftsführerin der IHK Lippe. Sie betont zudem, dass „genutzte Wälder keine schlechtere Klimaschutzleistung als nicht genutzte Wälder haben“. Ein weiterer wesentlicher Aspekt bei der wirtschaftlichen Bewertung eines möglichen Nationalparks in OWL sind Auswirkungen auf die Windenergiebranche. Mit Blick auch auf die Ausbauziele von Bund und Land liegt insbesondere in der Egge großes Potenzial für die Nutzung der Windenergie, das im Falle eines Nationalparks dort vollständig ungenutzt bleiben müsste. Weitere Konflikte wären zudem zu erwarten bei bestehenden Anlagen im Umfeld der Egge – in einem Umkreis von 1.200 Meter gibt es derzeit 81 Windräder. Schutzabstände könnten die langfristige Nutzung dieser Anlagen gefährden. Zusammengenommen droht für die Windenergie ein möglicher Umsatzverlust in dreistelliger Millionenhöhe. „Darüber hinaus gibt es Unternehmen aus weiteren Branchen, die im Bereich eines möglichen Nationalparks Egge Flächen angepachtet haben und befürchten, dass ihre Tätigkeit stark eingeschränkt werden könnte oder ihr Betrieb gefährdet wäre. Hier geht es ebenfalls um Umsatzvolumen in jährlich dreistelliger Millionenhöhe“, sagt Götz Dörmann, Geschäftsführer der IHK Ostwestfalen. Bei der Egge komme als weiterer Negativfaktor noch hinzu, dass der Ausbau der B64 zur besseren Erschließung des Raumes Höxter durch eine NationalparkAusweisung erschwert werde.

Foto: IHK Ostwestfalen